Sonntag, 29. Juni 2014

Challenge 52/52: Seelenfeuer

Meine vierte Kurzgeschichte ist Teil einer kleinen ''Kurzgeschichten-Reihe''.

Wort: Seele
Wörter: 1316


Seelenfeuer

Sie hielten die Drachen immer für eine Legende. Als Kind habe ich mir immer die Geschichten angehört, die sie sich im Dorf erzählt haben. Es waren unglaubliche Geschichten von Feuer und Heldenmut, Abenteuer mit genau dem richtigen Grad an Nervenkitzel.
Damals habe ich mir oft vorgestellt, Teil eines solchen Abenteuers zu sein. Dabei wollte ich gar nicht unbedingt der Held sein. Ich hatte nicht so hohe Ansprüche. Der beste Freund des Helds zu sein, wäre auch in Ordnung für mich oder irgendein Fremder, den der Held und seine Gefährten auf ihrer Reise trafen, solange ich bloß ein Teil des Abenteuers wäre. Später hätte ich dann meinen Kindern davon erzählt und sie hätten mich mit großen bewundernden Augen angesehen, weil ich den Mann getroffen hatte, der einen Drachen tötete.
Desto älter ich wurde desto mehr realisierte ich, dass es blöde Kinderfantasien waren, die ich mir zusammen spann, weil das Leben im Dorf nicht sonderlich aufregend war. Allerdings blieb eines in all den Jahren unverändert: der stille Glaube, dass die Drachen keine Legende waren, sondern tatsächlich existierten.
Und es kam der Tag, an dem ich in diesem Glauben bestätigt wurde.
Mitten in der Nacht riss mich mein älterer Bruder aus dem Schlaf. Ich dachte, es wäre etwas mit den Tieren. Doch nachdem ich mich schnell umgezogen hatte und ihm aus dem Haus folgte, sah ich, dass es ein paar Häuser weiter brannte. Es hatten sich bereits viele Nachbarn versammelt, um das Feuer unter Kontrolle zu bringen und zu löschen. Gemeinsam schafften wir es, aber es blieb nicht bei diesem einen Feuer. In den darauffolgenden Nächten brachen immer neue Feuer aus und jedes Mal war die Ursache für den Brand unbekannt.
Gerüche machten den Umlauf. Viele glaubten, es wären Brandstifter, aber es gab keine Beweise. Bei dem fünften Brand schnappte ich ein paar Worte auf, die ich auch zuvor schon gehört hatte. Jemand behauptete anscheinend, dass er ein Brüllen und Flügelschläge gehört hätte, bevor das Feuer ausbrach. Irgendjemand habe sogar davon gesprochen, einen Drachen gesehen zu haben.
Ein paar Nächte später saß ich vor dem Haus und betrachtete den Sternenhimmel, da sah ich ihn. Seine Schuppen glänzten im Mondlicht und er wirkte selbst aus der Entfernung riesig.
In der Nacht brach in unserem Dorf kein Feuer aus, aber ich hörte später davon, dass in unserem Nachbardorf ein Brand beinahe außer Kontrolle geraten wäre und zwei Häuser niederbrannte.
Am Tag nach meiner Sichtung des Drachen – und ich glaubte meinen Augen –, sprach mich auf dem Markt ein alter Mann an.
„Ich weiß, dass du ihn letzte Nacht gesehen hast“, sagte er. „Den Drachen.“
„Wer sind Sie?“
„Jemand, der weiß, warum deine Eltern ermordet wurden.“
Hätte er meine Eltern nicht erwähnt, hätte ich ihn als Schwätzer abgetan und ihn ignoriert, aber so konnte ich es nicht. Es war erst fünf Jahre her, seit meine Eltern getötet worden waren. Sie waren in die Stadt gefahren und nie zurückgekehrt. Als mein Bruder und ich Nachforschungen anstellten, sagte man uns, es wären Taschendiebe gewesen. Ich wollte nie wahr haben, dass meine Eltern wegen etwas solch Sinnlosem ihr Leben lassen mussten.
Also hörte ich dem Mann zu und er erzählte mir von den Drachenkriegern, die es vor mehreren Jahrhunderten gab und er sagte, ich wäre ein Nachkomme eben jener Krieger. Zuerst glaubte ich ihm nicht. Wer würde eine solche Geschichte auch glauben? Allerdings reagierte mein älterer Bruder äußerst seltsam, als ich ihm von dem Mann und seiner Behauptung berichtete. Er war nicht bloß verblüfft, er hatte diese Geschichte schon einmal gehört – von unseren Eltern.
Er wusste noch mehr über unsere Herkunft, über meine Herkunft. Tatsächlich war er nämlich nicht mein Bruder. Vor langer Zeit hatten meine Eltern mich gerettet und als ihren Sohn groß gezogen. Meine wahre Herkunft hatten sie mir zu meiner eigenen Sicherheit verschwiegen. Meinem Bruder hatten sie es in der Nacht, bevor sie in die Stadt gefahren waren, erzählt.
„Und was bedeutet das jetzt?“, fragte ich und grub die Hände in mein Haar, sah meinen großen Bruder hilflos an.
„Nichts hat sich geändert“, meinte er. „Sie waren deine Eltern und ich bin dein Bruder.“
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Davon rede ich nicht. Was bedeutet es in Bezug auf den Drachen? Ziehe ich ihn magisch an, oder wie? Kann ich irgendetwas tun, dass er verschwindet?“
„Cendrik, es ist nicht deine Schuld“, beeilte er sich zu sagen und blickte mich besorgt an.
Ich schüttelte mit dem Kopf. „Wenn es einen Weg gibt, etwas gegen diesen Drachen zu tun, sag es mir.“ Ernst schaute ich ihm ins Gesicht. Ihm war bewusst, dass er es mir schuldig war, die Wahrheit zu sagen. Nachdem ich praktisch eine Lüge gelebt hatte, auch wenn ich weder ihm noch meinen Eltern einen Vorwurf machte, durfte er mir die Wahrheit nicht vorenthalten.
Nach einem tiefen Seufzen teilte er mir alles mit, was er wusste.
Dass ich der letzte Drachenkrieger war und meine Kräfte sehr schwach waren und dass es nur eine Möglichkeit gab, mich stärker zu machen.
„Du solltest das nicht tun, Cendrik. Du wirst danach nicht mehr du selbst sein. Mutter und Vater hätten das nicht gewollt.“
„Es ist meine Entscheidung!“ Eindringlich sah ich ihn an und er wandte den Blick ab. Er konnte es nicht verstehen. Er konnte nicht verstehen, dass es meine Schuld war, dass Mutter und Vater getötet worden waren, weil sie meinen Aufenthaltsort nicht hatten verraten wollen. Es war meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass ihr Tod nicht umsonst war. Und es war meine Verantwortung, die Menschen unseres und der anderen Dörfer vor dem Drachen zu retten.

„Du willst also deine Seele verkaufen, hm?“ Ein grausiges Grinsen lag auf seinem Gesicht.
„Nicht verkaufen. Eintauschen. Ich möchte meine Seele eintauschen“, erklärte ich mit schmerzender Brust und leichter Atemnot. Die Luft um mich herum war heiß, sie schien zu brennen und dieses Brennen fraß sich in meine Haut und meinen Hals und mein Herz.
„Das macht doch keinen Unterschied. Verkaufen, Eintauschen, Stehlen. Ist doch alles dasselbe.“ Das grausige Grinsen schien ihm ins Gesicht gemeißelt. Es war nicht das einzige Grausige an ihm. Seine gesamte Erscheinung war grausig und ihn als eine Erscheinung zu bezeichnen war leicht übertrieben. Eher bestand er aus Rauch und Asche, ein formloses Wesen, das neben seinem Gesicht keine feste Gestalt aufwies. Dort, wo sich seine Augen befunden hätten, züngelten kleine Flammen und, wo sein Mund gewesen wäre, befand sich ein schwarzes Loch, das sich hin und wieder kräuselte und ausweitete.
„Ich tausche meine Seele gegen die Rettung vieler Menschen“, beharrte ich.
„Ohne Seele werden dir diese Menschen nichts mehr bedeuten. Aber gut, wenn es dein Wunsch ist. Seelen sind meine Leibspeise, musst du wissen.“ Sein grausiges Grinsen wurde noch ein klein wenig breiter, sodass es noch unmenschlicher wirkte und fast hoch bis zu seinen flammenden Augen reichte. „Mhhh und deine Seele, Cendrik, riecht ganz besonders gut.“
„Tun Sie es einfach!“ Dieser Ort ließ mich die Geduld verlieren. Nicht zuletzt, weil ich das Gefühl hatte, von außen und von innen zu verbrennen, wenn ich noch länger hierblieb.
„Nun gut, nun gut. Aber jammere später nicht. Ich habe dich gewarnt. Na, es war ohnehin zu spät, nachdem du dir den Silberdolch ins Herz gerammt hast.“ Instinktiv fasste ich mir an die Brust, wo mein Herz schlagen müsste. Ich konnte es fühlen, als würde es noch schlagen. Doch es schlug nicht.
Der Dämon kam näher, leckte sich mit seiner schwarzen Zunge die nicht vorhandenen Lippen. Ich wollte die Augen schließen, aber da war es bereits zu spät und ich hörte ein grässliches Reißen gefolgt von einem noch grässlicheren Gefühl, das mich gellend aufschreien ließ. Es kam mir vor, als würde ich auseinander gerissen werden und jedes einzelne Stück verbrannte, bis es nicht einmal mehr Asche war.
Und dann war es plötzlich vorbei und ich riss die Augen auf und wusste nur noch eins: ich muss den Drachen töten.

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