Donnerstag, 29. Januar 2015

52/52 Challenge: Wenn die Zeit stillstehen würde

Und hier ist Nr. 10! :D
Hab sogar schon die 11. Kurzgeschichte fertig. ;D
Wünsch euch viel Spaß beim Lesen. :*

Wort: Uhr
Wörter: 1320

Wenn die Zeit stillstehen würde  


Halb schlafend stand er am Bahnhof und wartete auf die Straßenbahn, die ihn zur Arbeit bringen würde. Er hatte in der letzten Nacht wieder sehr wenig geschlafen, weil er einfach mit nichts fertig wurde und mit dem Entspannen konnte er gar nicht erst anfangen, auch wenn er es sich jeden Tag wieder vornahm und sich jeden Tag wieder schwor, sich heute mal endlich einfach vor den Fernseher zu setzen und nichts zu tun, außer auf den Flachbildschirm zu starren.
Seufzend stieg er ein, als die Bahn vorfuhr, und ließ sich auf einen freien Platz fallen. Den zwanzigminütigen Weg verbrachte er wie in Trance. Sein Kopf sank immer wieder leicht zur Seite und er blinzelte fast ununterbrochen, damit seine Augen nicht einfach zufielen. Im Büro würde er sich erstmal mit Kaffee versorgen, Zuhause hatte er keinen mehr gehabt.
Nachdem er sich die Stufen in den zweiten Stock des Bürogebäudes hochgeschleppt und seine Sachen an seinen Arbeitsplatz geräumt hatte, schlich er rüber in den kleinen Pausenraum. Zehn Minuten. Zehn Minuten lang würde er sich jetzt Ruhe gönnen!
Da jeder in der Redaktion viel Kaffee trank, stand eine fertige, frische Kanne bereit. Es machte sich bereits Erleichterung in ihm breit, als er die dunkle Flüssigkeit in eine Tasse goss. In aller Ruhe setzte er sich auf einen Stuhl, der an einem kleinen Tisch stand, und nahm einen ersten Schluck. Die Wärme des Getränks machte ihn zunächst noch schläfriger, aber beim zweiten Schluck spürte er die erste Wirkung des Koffein.
Er lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die Augen.
„Hey, Tobias! Hier wird nicht geschlafen, sondern gearbeitet!“, ertönte eine laute Stimme.
Erschrocken riss Tobias die Augen auf und rieb sich die Stirn, da ihm mit einem Mal der Kopf schmerzte. „Das hier ist vor allem der Pausenraum und da wird Pause gemacht“, meinte er und erkannte die Person, die zuvor gesprochen hatte, als seinen Vorgesetzten, der für die Abteilung zuständig war, in der Tobias arbeitete.
Als Klark sich ihm gegenüber an den Tisch setzte, war Tobias nicht wirklich begeistert. Klark verkörperte aus Tobias Sicht viel zu sehr diese Ideale von Attraktivität, Verantwortungsbewusstsein, Höflichkeit und Fleiß. Im Grunde genommen verkörperte er also Perfektionismus. Und das Schlimme war, die Dinge, die an ihm nicht perfekt waren, machten ihn nur noch perfekter. Solche Menschen sollte es gar nicht geben!
Doch keine Sekunde verstrich, da legte Klark sein perfektes Lächeln ab und seufzte tief. „Pause machen, klingt gut.“ Wie Tobias zuvor, lehnte er sich zurück und schloss die Augen.
„Wenn doch die Zeit stillstehen würde“, murmelte Tobias und nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. Ehe er sich versah, sprach er auch schon weiter: „Wenn die Zeit zum Stillstand kommen würde, konnte man alles tun, wozu man sonst nie kommt und das, was man sonst machte, könnte man trotzdem machen. Das wäre der Inbegriff von Freiheit. Nie mehr Zeitdruck.“
„Du wärst also gerne unsterblich?“ Klark, der die Augen wieder geöffnet hatte und Tobias amüsiert ansah, grinste.
„Es wäre schön, wenn alles, die ganze Welt unsterblich wäre. Jeder hätte für alles eine, sogar mehrere Ewigkeiten Zeit“, erwiderte Tobias und träumerische Begeisterung lag in seiner Stimme. Er schien die Vorstellung ganz genau vor Augen zu haben, so wie er ins Nichts schaute.
„Ist das tatsächlich das, was du willst? Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Aber wenn alles für immer wäre, wofür würde es sich dann noch zu leben lohnen? Freude und Vorfreude würden langsam aber sicher ihre Bedeutung verlieren. Alles würde langsam aber sicher seine Bedeutung verlieren“, meinte Klark und blickte Tobias mit erhobenen Augenbrauen an, nach dem Motto ''Ha, du weißt gar nichts!''. Arroganz – Arroganz hatte Tobias vorher vergessen. Klark war auch perfekt darin, arrogant zu sein.
Leider hatte er aber Recht und Tobias hörte schnell wieder auf, seinen Vorgesetzten verärgert anzusehen, stattdessen rieb er sich das Nasenbein und trank noch mehr Kaffee. Als er wieder zu Klark hinüberschaute, der zufrieden grinsend aus seiner Kaffeetasse trank, fielen ihm die dunklen Ringe unter Klarks Augen auf. Natürlich machte auch das ihn noch perfekter, aber dies war das Erste, was Tobias an seinem Vorgesetzten sah, dass ihn in erster Linie menschlicher machte. Ob Klark genauso wenig schlief, wie Tobias selbst? Oder sogar noch weniger? Als Zuständiger für eine Abteilung, wenn es auch eine recht kleine und überschaubare war, hatte man sicherlich einiges zu tun. Aus dieser Perspektive war es echt eine Meisterleistung, was Klark jeden Tag vollbrachte.
Tobias schüttelte den Kopf. Bei seinem nächsten Schluck Kaffee kam ihm eine Idee. „Uhren. Es sollten einfach alle Uhren abgeschafft werden.“ Ein triumphierendes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
Unterdessen zog Klark die Augenbrauen zusammen. Dachte er ernsthaft nach? Nach ein paar Sekunden nickte er. „Ja, das wäre definitiv interessant.“
„Es würde so viele Probleme lösen.“ Tobias trank seinen letzten Schluck Kaffee und stand auf.
„Und es würde eine Menge Probleme verursachen“, sagte Klark hinter ihm.
„Es gibt nichts, dass man nicht lösen könnte.“ Tobias füllte seine Tasse ein zweites Mal mit Kaffee, die würde er mit an seinen Arbeitsplatz nehmen. Als er sich umdrehte, stand Klark plötzlich direkt vor ihm. Hätte ihn das nicht schon erschreckt, wäre er spätestens erstarrt, als Klark sich zu ihm vorbeugte. Tobias hörte auf zu atmen und ihre Oberkörper berührten sich. Im gleichen Moment legte Klark die Arme um Tobias, um sich hinter dem Rücken des anderen Mannes seine zweite Tasse Kaffee einzuschenken.
„Ohne Uhren wäre wahrscheinlich tatsächlich einiges besser. Niemand müsste mehr auf die Minute genau sein. Man könnte sich nach der Sonne richten oder man lebt einfach vor sich hin. Am Ende könnte man nicht sagen, dass man Zeit verschwendet hätte, sondern man hätte Tage oder Nächte verschwendet und das ist so gut wie unmöglich, wenn man nicht unheimlich faul ist. Und falls man doch mal einen Tag oder mehrere verschwendet, würde es auch keine Rolle spielen, denn etwas auf die Minute genau zu tun, den Zeitplan einzuhalten, würde es nicht mehr geben.“ Tobias hörte Klarks Stimme direkt neben seinem Ohr und spürte seinen Atem. Er erschauderte.
Klark lehnte sich wieder zurück, aber nur soweit, dass sie einander in die Augen sahen. Ihre Oberkörper berührten sich noch immer. Tobias spürte den Atem seines Vorgesetzten auf seinen Lippen, als dieser weitersprach: „Man müsste auch Kalender abschaffen, damit es funktioniert und jeder müsste mitmachen oder es müsste zumindest einen Ort geben, wo es alles gibt, was man zum Leben braucht, Uhren und Kalender aber nicht existieren. Man dürfte diesen Ort nie verlassen, weil man nicht wüsste, wie man sich nach der Zeit richtet, aber ich glaube, das wäre es wert.“
„Dir scheint die Idee zu gefallen“, brachte Tobias hervor.
Klark senkte leicht den Kopf und hob ihn wieder an, als würde er Nicken, bloß sehr langsam. „Durchaus“, erwiderte er und ein kleines Lächeln, das sich in seinen Augen wiederfand, erhellte sein Gesicht. Dieses Lächeln sah so unheimlich ehrlich aus, dass Tobias zu wissen glaubte, warum viele auf diese Art von Attraktivität standen.
Klarks Gesichtsausdruck veränderte sich mit einem Mal, als wäre ihm etwas aufgefallen oder als hätte er etwas vergessen, vielleicht Beides gleichzeitig. Unmerkbar langsam neigte Klark seinen Kopf Tobias entgegen und für diesen Augenblick, als sich ihre Blicke begegneten und Tobias Gesicht den gleichen, verloren-wissenden Blick annahm, wie das von Klark, hätten sie Beide schwören können, dass die Zeit tatsächlich stillstand.
Doch ruckartig wurden sie in die Realität zurückgerissen, als jemand in den Pausenraum gerannt kam. „Klark, Tobias, hier seid ihr! Wir warten schon alle auf euch!“
Hastig wandte Tobias den Kopf zur Seite, nachdem er mehrmals heftig geblinzelt hatte. Klark hingegen blieb noch einen Augenblick länger dicht vor Tobias stehen, tat dann aber einen entschiedenen Schritt zurück. Tobias sah genau in dem Moment zu dem anderen Mann rüber, als dieser kurz verwirrt die Augenbrauen zusammenzog.
In der nächsten Sekunde war der Ausdruck verschwunden. Tobias drehte sich schnell um und nahm seine Tasse. Klark griff ebenfalls seine Tasse. „Wir sind sofort da.“

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