Sonntag, 8. Februar 2015

52/52 Challenge: Wir sind alle gleich

Hallöchen. :D
Das ist dann Nr. 11. Bis 13 hab ich schon vorgeschrieben. ;D
Viel Spaß beim Lesen. :)

Wort: Maschine
Wörter: 1081

Wir sind alle gleich

Wie jeden Morgen erwachte er in seinem Bett. Wie jeden Morgen schaltete er seinen Wecker aus und setzte sich auf. Wie jeden Morgen stand er auf, ging rüber zu seinem Schrank und suchte sich seine Klamotten für den Tag raus. Wie jeden Morgen machte er sich im Bad fertig. Wie jeden Morgen setzte er sich an den Frühstückstisch und löffelte sein Müsli. Um danach, wie jeden Morgen, das Haus zu verlassen und zur Schule zu gehen.
Es gab Abweichungen, natürlich gab es die. Diese klitzekleinen Kleinigkeiten, die jeden Tag anders waren. Der Himmel, der mal strahlend blau und wolkenlos, mal grau und düster war. Die Bäume und Pflanzen, die wuchsen und mit den Jahreszeiten ihr Aussehen wechselten. Die Wochenenden waren anders. In den Ferien war es anders. Wenn Unterricht ausfiel, war es anders.
Doch im Grunde war jeder Wochentag gleich und jede Woche war gleich. Die klitzekleinen Kleinigkeiten, die vorgaben den Tag anders als die anderen zu machen, die scheinbaren großen Ereignisse, die Veränderungen herbeizuführen schienen, durchbrachen dieses Muster hin und wieder. Aber egal, was auch war, was sich auch veränderte, im Grunde blieb alles gleich.
Er setzte sich in den Bus, mit dem er jeden Morgen zur Schule fuhr. Mit ausdruckslosem Gesicht starrte er aus dem Fenster und sah die Leute auf den Straßen sowie die Leute, die mit ihm im Bus fuhren. Viele schauten ähnlich ausdruckslos wie er. Ob sie sich so fühlten, wie er? Ob ihnen das Gleiche klar war, wie ihm?
Er legte die Hand auf sein Herz und spürte es schlagen. Unentwegt pochte es in seiner Brust. Das war der Beweis, dass er am Leben war. Der medizinische Beweis. Er lebte und doch tat er es nicht. Zumindest kam es ihm nicht vor, als würde er leben. Da war eine Leere, die sich mit Nichts füllen zu lassen schien. Eine Leere, die er auch in den Augen vieler anderer Menschen zu sehen glaubte.
Eine Leere, die keine Bedeutung zu haben schien. Es war egal, vollkommen egal. Leere hin oder her, innerlich tot oder nicht, vollkommen egal.
Hauptsache er stand in der Woche jeden Morgen auf und fuhr zu Schule. Hauptsache er lernte etwas, um später einen Beruf zu erlernen und dann zu arbeiten. Hauptsache er fügte sich in die Routine des Alltags. Das war die Hauptsache und zwar für jeden.
Im Klassenzimmer angekommen setzte er sich auf seinen Platz am Fenster. Um ihn herum redeten seine Mitschüler. Wie alle hatten sie Probleme und Sorgen und Ängste, Träume und Wünsche und Hoffnungen. Manche scheuten über diese Gefühle zu sprechen, andere schienen nichts anderes zu kennen als über diese Gefühle zu jammern und von ihnen zu schwärmen. Es gab auch jene, die sie auslebten oder schlicht ergreifend mit ihnen leben mussten.
Doch eins würde bei ihnen allen gleich sein, da war er sich sicher. Eines Tages würden all diese Gefühle, die Guten und die Schlechten, sie verlassen und die meisten würden das sogar bereitwillig annehmen, sie würden froh darüber sein.
Er war froh. Zumindest glaubte er, dass er froh gewesen wäre, wenn er denn noch gefühlt hätte. Wann und wo er seine Gefühle verloren hatte, wusste er nicht. Vielleicht hatte er von Anfang an gar keine gehabt. Es war auch egal, alles egal.
Er saß bloß da und tat das Nötigste, an der ein oder anderen Stelle etwas mehr oder etwas weniger. Als Pause war, saß er noch immer da und er machte auch keine Anstalten, sich von seinem Platz wegzubewegen. Aus seiner Schultasche holte er sein Pausenbrot und begann zu essen. Dabei blickte er sich kaum merklich um. Das Fenster neben ihm war offen und er hörte draußen die Stimmen anderer Schüler. Doch einige saßen auch im Klassenraum und unterhielten sich.
Was sie redeten, interessierte ihn nicht sonderlich. Aber es war zumindest etwas interessanter, als all das immer Gleiche, was er ständig um sich herum sah. Eine Schule war ein recht interessanter Ort. Auf eine gewisse Weise konnte jeder Ort interessant sein. Eine Schule wies allerdings die Besonderheit auf, dass sehr viele junge Menschen zusammenkamen. Junge Menschen, die alle, der eine mehr, der andere weniger, auf dem Weg in die harte Realität waren. Die meisten von ihnen fühlten nicht mehr ganz so intensiv wie Kinder. Sie waren dabei ihre Gefühle an die Gesellschaft zu verlieren oder sich von ihren Gefühlen überwältigen zu lassen. Eins der zwei würde sie überwältigen – entweder die Gesellschaft oder ihre Gefühle. Es war nur eine Frage der Zeit.
So lauschte er den Gesprächen, beobachtete seine Mitschüler unauffällig und ließ ihre Leben in seinem Kopf Form annehmen. Das war eine gute Ablenkung, ein lustiges Spiel. Es machte die Eintönigkeit, die er überall sah, erträglich.
Manche Geschichten waren so schön dramatisch. Ein süchtiger Vater, der nur auf dem Sofa rumhing. Eltern, die nicht aufhörten, sich mitten in der Nacht zu streiten. Tyrannisierungen von jüngeren Geschwistern.
Dann gab es natürlich noch die Dramen, die sich in der Schule selbst ereigneten. Freunde, die hinter dem Rücken einer anderen, angeblichen Freundin lästerten. Jungen, die ihren besten Freunden das Mädchen ihrer Träume wegschnappten. Mädchen, die sich mit jedem einließen und dann über Liebeskummer klagten.
Es war schon ziemlich amüsant. Aber letztendlich ging er mit dem gleichen, ausdruckslosen Gesicht nach Hause, mit dem er hergekommen war, um am nächsten Tag mit dem gleichen Gesichtsausdruck wieder in die Schule zu fahren.
Mit jedem Tag sah er, wie mehr Träume und Hoffnungen zerstört wurden, wie sich schlimmste Ängste bewahrheiteten und seine Mitschüler sich langsam aber sicher in Resignation flüchteten und dem Druck der Gesellschaft nachgaben. Die meisten würden nachgeben, würden aufgeben.
Hatte auch er aufgegeben? War auch er bereits ins System integriert? In dieser Gesellschaft verlor man, bevor man überhaupt zu kämpfen begonnen hatte. Er hatte kein Ziel, keinen Traum, nichts dass er als seine Bestimmung ansah. Gab es so etwas überhaupt? War es nicht bei allen, die so etwas hatten, bloß eine Illusion, die früher oder später zerstört werden würde?
Denn letztendlich bestimmte die Gesellschaft das Leben eines jeden und diese Gesellschaft wollte nichts anderes als Maschinen. Roboter, die funktionierten. Je weniger Gefühl, je weniger Unerwartetes umso besser. Es ging bloß ums Funktionieren, darum ein kleines Zahnrad im großen Ganzen zu sein.
Alle waren gleich. Jeder hatte irgendeinen Platz in diesem System, ob er wollte oder nicht, ob ihm dieser Platz gefiel oder nicht, ob er ihn als einen Platz erkannte oder nicht. Alle waren gleich, denn alle lebten in diesem System und alle unterwarfen sich ihm in gewisser Weise.
Dass ein Mensch keine Maschine war, war egal. Alles egal.

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